Wider die Natur by Tomas Espedal

Wider die Natur by Tomas Espedal

Autor:Tomas Espedal
Die sprache: deu
Format: mobi, epub, azw3
Herausgeber: Matthes & Seitz Berlin
veröffentlicht: 2014-05-13T22:00:00+00:00


War das ein Anfang oder ein Ende? Ich hatte nichts mehr; keine Familie, keine Adresse, keine Papiere, keine Kleider, einige Stunden über war ich nackt.

Ein paar Tage später flog ich zurück nach Oslo. Agnete und ich wurden zu einem Paartherapeuten geschickt; ich weiß noch, wie der Psychologe zu mir sagte, die Untreue meiner Frau gebe mir eine gewisse Freiheit, jetzt könne ich, wenn ich es wünschte, Verhältnisse zu anderen Frauen haben. Ein paar Wochen später flogen wir von Oslo nach Guatemala City. Wir überflogen New York und Mexico City; wie seltsam, diese Großstädte unter uns, all die Häuser und Lichter, all die unsichtbaren Menschen, die in Straßen und Gebäuden verschwanden; es war, als gäbe es sie nicht, und doch mussten Tausende unter ihnen sein, die es ebenso schwer hatten wie wir, Tausende, denen es schlechter ging als uns, Tausende, denen es besser oder schlechter oder ebenso schlecht ging wie uns. Wir saßen nebeneinander in den Flugzeugsitzen, Mutter, Vater und Tochter, eine kleine Familie, die völlig vom Kurs abgekommen war, wir flogen in die falsche Richtung. Wir hätten heimfliegen sollen. Wir hätten von Sunnfjord direkt nach Bergen umziehen sollen, jetzt flogen wir einen schrecklichen Umweg, über die USA und Mexiko und Guatemala und Nicaragua, auf die andere Seite der Erde flogen wir, bevor wir endlich nach Hause durften.

Aus Guatemala City wurden wir per Bus nach Antigua gefahren. Der Bus erklomm die Kurven hinan zu der alten Stadt in den Bergen; wir waren unterwegs, um anderen zu helfen, um im Friedenskorps mitzuarbeiten, aber wir befanden uns mitten in einem internen Krieg, wir waren es, die Hilfe brauchten. Wir brauchten Hilfe von allen, die uns nicht helfen konnten; den Armen und Obdachlosen, Bettlern und Dieben, Prostituierten und Soldaten, all jenen, denen wir auf unserer hoffnungslosen Reise durch Lateinamerika begegnen sollten.

In Antigua wurden wir bei Familie Gonzales einquartiert. Sie waren zu viert, Vater, Mutter und zwei Töchter, und lebten ein wenig abseits des Zentrums in einem alten Bauernhof, gleich am Fuß des südwestlich gelegenen Vulkans, Volcán de Fuego. Das Haus war dreigeteilt, ein Hauptgebäude mit zwei Flügeln, die einen zwischen ihnen gelegenen Garten umgaben. Im Garten stand ein Baum, am Baum war ein Hund angeleint. Ein Mischling, Cesar, er bewachte das Haus und unsere sämtlichen Bewegungen, als wären wir Eindringlinge, Unbefugte, was wir auch waren; wir sollten zwei Monate lang bei der Familie wohnen. Wir bekamen ein eigenes Zimmer mit drei Betten, einem Kleiderschrank und ein paar Stühlen, das war alles. Zum Schreiben gab es hier keinen Platz. Wir teilten uns das Bad mit der Familie und nahmen jede Mahlzeit zusammen mit ihr ein, in der Küche mit einer offenen Feuerstelle. Unsere Tochter bekam ein eigenes Kindermädchen, eine Maya, ein junges Mädchen, Linda, das mit im Haus wohnte. Agnete bekam einen eigenen Spanischlehrer; jeden Morgen holte er sie mit dem Auto ab, und dann fuhren sie zur Schule, die im Zentrum lag.

Ich wanderte durch Antigua und suchte nach einem Ort zum Schreiben. Eines Tages kam ich an einem Hotel vorbei, und mich durchschoss die Idee, ich könnte ja dort ein Zimmer nehmen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.